Donnerstag, 29. August 2013

Der Sprung ins kalte Wasser

Als ich in der 11. Klasse ein Praktikum bei einer lokalen Tageszeitung absolvierte, bekam ich vom Redakteur meines Ressorts den Auftrag, eine Serie über die Freibäder in der Region zu verfassen. Ich sollte sie entsprechenden Etablissements aufsuchen und anschließend schriftlich von meinen Erfahrungen berichten. Ein absoluter Traumjob für junge Journalisten in den großen Ferien. Eigentlich.

Ich hasse Freibäder. Es bleibt mir ein Rätsel, was Menschen so attraktiv daran finden, sich stundenlang auf einem grasigen Handtuch zu räkeln oder sich in zu kalten und zu schmutzigen Schwimmbecken zu tollen. Ich saß also im Waldschwimmbad Bammental auf meinem Handtuch, umringt von zahlreichen, nur teilweise ästhetischen Leibern, und langweilte mich zu Tode. Die einzige Attraktion in dem leicht heruntergekommenen Gemeindeschwimmbad, ein 3-Meter-Sprungbrett, war mir nicht geheuer. Ich bin generell nicht unbedingt für Höhen zu haben, und dann auch noch in der Verbindung mit Wasser… Aber irgendwas musste ich tun, irgendwie die Zeit totschlagen und nach Möglichkeit am Ende des Tages meine 5000 Zeichen abliefern. In meiner Verzweiflung beschloss ich spontan, mich meinen Ängsten zu stellen.

Zögerlich erklomm ich das schwankende Sprungbrett. Zwischen mir und dem sicheren Grund lagen nicht nur drei Meter freier Fall, sondern auch eine dicke Schicht des feindlichen Elements Wasser. Ich versuchte, nicht nachzudenken, nur noch zu zählen: 1, 2, 3…
Dann der Sprung ins Ungewisse.
***
An diesem Tag sprang ich noch viele Male vom Sprungturm. In der Zeitung berichtete ich mit ironischem Unterton von meiner Heldentat. Der Artikel war gerettet und ich um eine Erkenntnis reicher: Ein Sprung ins kalte Wasser kostet Kraft und Überwindung. Oft ist es aber das einzige, das weiterbringt.

„Moment: Etwas zu tun, wovor man sich fürchtet, worauf man nicht vorbereitet ist doch hochgradig leichtsinnig! Geradezu absurd!“, höre ich den Leser sagen. Mag sein. Aber ich verdanke solchen absurden Aktionen tatsächlich die besten Momente meines Lebens. Drei Jahre nach dem Redaktionspraktikum brach ich zu einem einjährigen Freiwilligendienst nach Tschechen auf. Ich fuhr in ein Land, dessen Sprache und Kultur mir völlig fremd waren. Keine Ahnung, was mich zu dieser wahnwitzigen Entscheidung bewogen hat. Jedenfalls habe ich es nie bereut. Oft ist das Wasser wärmer und der Aufprall sanfter als gedacht.

Morgen fahre ich für ein Semester nach Ungarn. Ich habe keine Ahnung, wie dort der akademische Betrieb, die Mietverträge oder die Fahrscheinautomaten funktionieren. Von der Sprache kann ich bisher nicht mehr als ein paar Fetzen. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet, und um ehrlich zu sein, habe ich einen Riesenbammel.

Wer ins kalte Wasser springt, erlebt etwas, was er sonst nicht erleben würde. Im besten Fall etwas, worüber es sich zu berichten lohnt. Das werde ich in den kommenden Monaten in diesem Blog versuchen. Versprechen kann ich allerdings noch nichts. Ich zähle:
1,2,3…
aj.erle - 10. Sep, 06:50

Nachgehakt

Liebe Abenteurerin aus Schwabaden,

Der Sprung ins kalte Wasser ...Klassestory! Warum, ist klar; aber wierum? Kopf oder Sohle voran? Das beigefügte Foto lässt es nich zweifelsfrei erkennen.
Wir wünschen viel gut überstandene Sprünge in Luft und Wasser und Erfolg beim Verstehen der Magyaren!
Ihr Prof. Erle aus Magdeburg und seine Frau

Eva W. - 18. Sep, 13:51

Lieber Herr Prof. Ehrle, vielen Dank für ihr fortgesetztes Interesse, darüber freue ich mich sehr! Was das Foto anbelangt, so hat sich die begabte Nachwuchsfotografin Annalena Walther eine künstlerische Freiheit herausgenommen: Das Fotomodell, ein Blechfrosch, springt kopfüber ins Wasser. Ich selbst würde mich das nie trauen, ich bin ja nicht ganz lebensmüde! :) Mit den Füßen Voran ist des Wagnisses genug.
Herzliche Grüße aus Pécs an Sie und Ihre Frau!

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