Ungarische Rhapsodie
Ungarn ist ein tolles Land, um zu studieren und eine super Zeit zu haben – aber wie geht es dem Land eigentlich?
Laut dem aktuellen Armutsbericht der EU-Statistikbehörde Eurostat leben 33 Prozent der Ungarischen Bürger in Armut – eine erschreckende Zahl! Davon bekommt man als Besucher, als Zaungast für ein paar Wochen ja gar nichts mit. Oder? Erinnern wir uns noch mal:
Da war dieses Schnellrestaurant mit Büfett in Eger. Die appetitlichen Speisen haben uns ins Innere gelockt, aber warum stehen da so viele Menschen am Rand und warten? Wir erhalten die Auskunft: Ab 18 Uhr kostet das Essen nur noch die Hälfte. Es ist 17:30 und der kleine Gastraum wird voller und voller. Sieht man sich die Reihen geduldig wartender Gäste an, so wird man den Gedanken nicht los, dass einige auf die günstige Verköstigung angewiesen sind. Als die Uhr endlich 6 schlägt, kaufen sie ihre zwei Schnitzel, die hier billiger als im Supermarkt sind, und tragen sie in der selbst mitgebrachten Tupperdose nach Hause.
Da war der große Flohmarkt nahe dem Budapester Stadtpark. Dort tummeln sich unzählige Touristen, die wohl weniger nach Schnäppchen jagen als nach Kuriositäten – Abzeichen aus den verschiedensten Regimes des vergangenen Jahrhunderts etwa oder Pornoheftchen aus den 70ern. Da sind aber auch diejenigen, die gekommen sind, um ihre ganze Familie für den Winter einzukleiden – mit H&M-Artikeln aus der vorvergangenen Saison. Das ganze Ausmaß der Verzweiflung wird einem aber erst bewusst, wenn man das Marktarreal verlässt und die inoffizellen Händler sieht, die sich am Straßenrand drängen. Auf einem Handtuch haben sie eine Handvoll Habseligkeiten vor sich ausgebreitet – zwei Jeans, ein Paar Schuhe, ein paar alte VHS-Kassetten... alles, was entbehrlich schien und unter Umständen ein paar Forint einbringt, um die Miete zu zahlen.
Die konservative Regierung unter Orban sieht durch all dies vor allen Dingen die Wählergunst gefährdet. Und reagiert mit Wahlwerbung frei Haus: Die Betriebskosten wurden um bis zu 30 Prozent gesenkt. Auch auf unserer Strom- und Wasserrechung steht, wie viel wir durch den glorreichen Einsatz der Fidesz gespart haben. Es sind ungefähr 2 Euro.
Da war die Ungarischstunde, in der sogar im Text unserem Lehrbuch davon die Rede war, dass immer mehr Ungarn Überstunden machen und Zweitjobs annehmen müssen, damit das Geld reicht. Das nimmt die Ungarischlehrerin Irén zum Anlass, von der Bildung des Präteritums abzuschweifen und von ihrem Sohn zu erzählen, der mit seiner Frau nach England ausgewandert ist. Als Ärzte dürften sie dort ein Vielfaches ihrer Kollegen in Ungarn verdienen. Jeden Sommer kämen sie aber zusammen mit ihren Enkeln für ein paar Wochen nach Hause zurück, erzählt sie mit leuchtenden Augen. „Sie sind gerne hier. Die Kinder sprechen auch Ungarisch“, sagt sie, wie als Rechtfertigung.
Wie Iréns Sohn haben um die 300 000 Ungarn in den letzten drei Jahren ihr Heimatland verlassen. Unter ihnen sind besonders viele hochqualifizierte Kräfte. Klar dass das der Politik Sorgen bereitet. Die versucht jetzt gegenzusteuern – indem sie junge Menschen, die in Ungarn studieren, noch vor Antritt ihres Studiums dazu verpflichten will, nach ihrem Anschluss eine gewisse Zeit nur in und für Ungarn zu arbeiten. Notwendige Abwendung das brain drain, sagen die einen. Freiheitsberaubung, sagen die anderen. Vor allem dürfte die Maßnahme einem anderen Problem Vorschub leisten: Dass die jungen Menschen gleich zum studieren ins Ausland gehen. Um das ungarische Bildungswesen ist es nämlich auch nicht allzu gut bestellt.
Da war die Politikstunde, in der die Dozentin mit vor Empörung kreischender Kreide folgendes Gleichnis an die Tafel schrieb. Der Staat Ungarn gibt jährlich rund 400 Millionen Euro für Bildung aus. Das entspricht dem Budget der Uni Bonn. Also einer hinsichtlich Größe und Ausstattung im deutschen Mittelfeld rangierenden Hochschule. Ein weiterer Vergleich macht das ganze endgültig absurd: Für den Neubau von Fußballstadien in Ungarn wurden unlängst 300 Millionen EUR vom Staatshaushalt bewilligt.
Dieses krasse Missverhältnis macht sich nun endgültig auch im Alltag von uns Studenten bemerkbar. Da war der Tag, an dem Bauarbeiter am frühen morgen einen provisorische Absperrung quer durch einen Flur der Faculty of Human Resouce Management gezogen hatten – die Uni hatte mal eben einen Teil ihres Gebäudes an die Stadt verkauft. Den großen Hörsaal kann man jetzt nur noch durch die Hintertür betreten, die Vorlesung wird von Gehämmer und Gebohre begleitet.
Der Stadt kann es aber auch nicht viel besser gehen – mussten doch die Angestellten der städtischen Museen ihre Büros räumen, weil nicht genug Geld zu heizen da ist.
Die Politik antwortet wie immer mit rechtspopulistischen Maßnahmen. So wird versprochen, die Einkommenssteuer in der nächsten Legislaturperiode von 16 Prozent auf einen einstelligen Betrag senken. Dabei hatte schon die letzte Einkommenssteuersenkung zu Anfang der letzten Legislaturperiode den Ärmsten der Armen eher geschadet – weil nämlich gleichzeitig die Verbrauchssteuern stiegen – also die Lebensnotwendigen Güter wie Öl, Gas und Strom teurer wurden. Dennoch oder gerade wegen solcher Augenwischereien wird Orban im kommenden Frühjahr mit großer Wahrscheinlichkeit wiedergewählt werden. Ein Weg aus der Misere ist nicht in Sicht.
Schaut mal auf die Seite www.pesterlloyd.net . Da bekommt man Parkinson vom vielen Kopfschütteln: Da gibt es ein Gesetz, mit dem Obdachlose von öffentlichen Plätzen verjagt oder mit Geldstrafe belegt werden. Da warten Lehrer im Staatsdienst wochenlang auf ihre Gehälter. Da gehen Journalisten ins Ausland, weil sie die Pressefreiheit nicht mehr gewährleistet sehen.
Liebes Ungarn, ich hoffe, ich verletzte jetzt nicht das Gastrecht, aber: Geht’s noch!?
Quellen:
http://www.deutschlandradiokultur.de/arm-und-reich-von-traumhochzeiten-und-dosensammlern.979.de.html?dram:article_id=270189
http://www.pesterlloyd.net/html/1350armutsberichteurostat.html#.Uqbu7SGhsP4.facebook
Laut dem aktuellen Armutsbericht der EU-Statistikbehörde Eurostat leben 33 Prozent der Ungarischen Bürger in Armut – eine erschreckende Zahl! Davon bekommt man als Besucher, als Zaungast für ein paar Wochen ja gar nichts mit. Oder? Erinnern wir uns noch mal:
Da war dieses Schnellrestaurant mit Büfett in Eger. Die appetitlichen Speisen haben uns ins Innere gelockt, aber warum stehen da so viele Menschen am Rand und warten? Wir erhalten die Auskunft: Ab 18 Uhr kostet das Essen nur noch die Hälfte. Es ist 17:30 und der kleine Gastraum wird voller und voller. Sieht man sich die Reihen geduldig wartender Gäste an, so wird man den Gedanken nicht los, dass einige auf die günstige Verköstigung angewiesen sind. Als die Uhr endlich 6 schlägt, kaufen sie ihre zwei Schnitzel, die hier billiger als im Supermarkt sind, und tragen sie in der selbst mitgebrachten Tupperdose nach Hause.
Da war der große Flohmarkt nahe dem Budapester Stadtpark. Dort tummeln sich unzählige Touristen, die wohl weniger nach Schnäppchen jagen als nach Kuriositäten – Abzeichen aus den verschiedensten Regimes des vergangenen Jahrhunderts etwa oder Pornoheftchen aus den 70ern. Da sind aber auch diejenigen, die gekommen sind, um ihre ganze Familie für den Winter einzukleiden – mit H&M-Artikeln aus der vorvergangenen Saison. Das ganze Ausmaß der Verzweiflung wird einem aber erst bewusst, wenn man das Marktarreal verlässt und die inoffizellen Händler sieht, die sich am Straßenrand drängen. Auf einem Handtuch haben sie eine Handvoll Habseligkeiten vor sich ausgebreitet – zwei Jeans, ein Paar Schuhe, ein paar alte VHS-Kassetten... alles, was entbehrlich schien und unter Umständen ein paar Forint einbringt, um die Miete zu zahlen.
Die konservative Regierung unter Orban sieht durch all dies vor allen Dingen die Wählergunst gefährdet. Und reagiert mit Wahlwerbung frei Haus: Die Betriebskosten wurden um bis zu 30 Prozent gesenkt. Auch auf unserer Strom- und Wasserrechung steht, wie viel wir durch den glorreichen Einsatz der Fidesz gespart haben. Es sind ungefähr 2 Euro.
Da war die Ungarischstunde, in der sogar im Text unserem Lehrbuch davon die Rede war, dass immer mehr Ungarn Überstunden machen und Zweitjobs annehmen müssen, damit das Geld reicht. Das nimmt die Ungarischlehrerin Irén zum Anlass, von der Bildung des Präteritums abzuschweifen und von ihrem Sohn zu erzählen, der mit seiner Frau nach England ausgewandert ist. Als Ärzte dürften sie dort ein Vielfaches ihrer Kollegen in Ungarn verdienen. Jeden Sommer kämen sie aber zusammen mit ihren Enkeln für ein paar Wochen nach Hause zurück, erzählt sie mit leuchtenden Augen. „Sie sind gerne hier. Die Kinder sprechen auch Ungarisch“, sagt sie, wie als Rechtfertigung.
Wie Iréns Sohn haben um die 300 000 Ungarn in den letzten drei Jahren ihr Heimatland verlassen. Unter ihnen sind besonders viele hochqualifizierte Kräfte. Klar dass das der Politik Sorgen bereitet. Die versucht jetzt gegenzusteuern – indem sie junge Menschen, die in Ungarn studieren, noch vor Antritt ihres Studiums dazu verpflichten will, nach ihrem Anschluss eine gewisse Zeit nur in und für Ungarn zu arbeiten. Notwendige Abwendung das brain drain, sagen die einen. Freiheitsberaubung, sagen die anderen. Vor allem dürfte die Maßnahme einem anderen Problem Vorschub leisten: Dass die jungen Menschen gleich zum studieren ins Ausland gehen. Um das ungarische Bildungswesen ist es nämlich auch nicht allzu gut bestellt.
Da war die Politikstunde, in der die Dozentin mit vor Empörung kreischender Kreide folgendes Gleichnis an die Tafel schrieb. Der Staat Ungarn gibt jährlich rund 400 Millionen Euro für Bildung aus. Das entspricht dem Budget der Uni Bonn. Also einer hinsichtlich Größe und Ausstattung im deutschen Mittelfeld rangierenden Hochschule. Ein weiterer Vergleich macht das ganze endgültig absurd: Für den Neubau von Fußballstadien in Ungarn wurden unlängst 300 Millionen EUR vom Staatshaushalt bewilligt.
Dieses krasse Missverhältnis macht sich nun endgültig auch im Alltag von uns Studenten bemerkbar. Da war der Tag, an dem Bauarbeiter am frühen morgen einen provisorische Absperrung quer durch einen Flur der Faculty of Human Resouce Management gezogen hatten – die Uni hatte mal eben einen Teil ihres Gebäudes an die Stadt verkauft. Den großen Hörsaal kann man jetzt nur noch durch die Hintertür betreten, die Vorlesung wird von Gehämmer und Gebohre begleitet.
Der Stadt kann es aber auch nicht viel besser gehen – mussten doch die Angestellten der städtischen Museen ihre Büros räumen, weil nicht genug Geld zu heizen da ist.
Die Politik antwortet wie immer mit rechtspopulistischen Maßnahmen. So wird versprochen, die Einkommenssteuer in der nächsten Legislaturperiode von 16 Prozent auf einen einstelligen Betrag senken. Dabei hatte schon die letzte Einkommenssteuersenkung zu Anfang der letzten Legislaturperiode den Ärmsten der Armen eher geschadet – weil nämlich gleichzeitig die Verbrauchssteuern stiegen – also die Lebensnotwendigen Güter wie Öl, Gas und Strom teurer wurden. Dennoch oder gerade wegen solcher Augenwischereien wird Orban im kommenden Frühjahr mit großer Wahrscheinlichkeit wiedergewählt werden. Ein Weg aus der Misere ist nicht in Sicht.
Schaut mal auf die Seite www.pesterlloyd.net . Da bekommt man Parkinson vom vielen Kopfschütteln: Da gibt es ein Gesetz, mit dem Obdachlose von öffentlichen Plätzen verjagt oder mit Geldstrafe belegt werden. Da warten Lehrer im Staatsdienst wochenlang auf ihre Gehälter. Da gehen Journalisten ins Ausland, weil sie die Pressefreiheit nicht mehr gewährleistet sehen.
Liebes Ungarn, ich hoffe, ich verletzte jetzt nicht das Gastrecht, aber: Geht’s noch!?
Quellen:
http://www.deutschlandradiokultur.de/arm-und-reich-von-traumhochzeiten-und-dosensammlern.979.de.html?dram:article_id=270189
http://www.pesterlloyd.net/html/1350armutsberichteurostat.html#.Uqbu7SGhsP4.facebook
Eva W. - 20. Dez, 00:48