Unterwegs im Osten - Teil 1: Slowenien und Kroatien
Viele denken ja, das Wort „Balkan“ sei eine Bezeichnung für eine Region in Europa. Weit gefehlt! Versuch nur mal, die Länder aufzuzählen, die zum Balkan dazugehören. Unmöglich. Selbst einschlägige Onlinelexika kommen hierbei zu keinem eindeutigen Ergebnis. Richtig ist: Balkan ist eine Eigenschaft.
Das wird mir klar, als wir mit dem kroatischen Studenten Marko über einen Flohmarkt streifen und ich ihn frage, ob denn hier verhandelt werden darf. „Hier nicht“, antwortet dieser. Aber es gebe einen zweiten Flohmarkt am Stadtrand, auf den ich nur selten Touristen verirren „Da geht es drunter und drüber, ein Riesenchaos“, erklärt Marko. „It`s very Balkan“.
Länder gehören also nicht dem Balkan an, sie sind mehr oder weniger Balkan. Welche Länder? All jene, die das Wort „Balkan“ in ihrer Selbstbeschreibung miteinbeziehen – sei es, um sich zu beschreiben oder sich davon abzugrenzen. Serbien und Albanien sind zum Beispiel unbestritten sehr Balkan. Ungarn, Slowenien, Rumänien und Kroatien hingegen zählen zu den Ländern, deren Balkan-Status fragwürdig ist. Deshalb werde ich als pflichtgetreue Kulturwissenschaftlerin diese Länder bereisen und nach bestem Gewissen Auskunft darüber geben, was es bedeutet, Balkan zu sein, und wer die Kriterien erfüllt und wer nicht.
Ljubljana
Unser Zug fährt mit über einer halben Stunde Verspätung in Ljubljana ein. Mit anderen Worten, ungefähr um Mitternacht. Very Balkan. Unser Couchsurfing-Gastgeber Miha wartet schon am Bahnsteig auf uns. Unser Angebot, uns wegen unserer späten Ankunft doch lieber ein Hostel zu suchen, hat er empört zurückgewiesen: „Are you kidding?“ Obwohl alle müde sind, wird an Mihas Küchentisch erst mal geplaudert – über seine Job als Programmierer, übers Reisen und über Sprachen. Irgendwann zückt Miha eine Flasche Rumlikör aus Litauen – der Beginn einer sehr promillereichen Reise durch halb Europa (Miha ist viel herumgekommen und kam selten mit leeren Händen heim), wobei die Konversation immer ausgelassener wird. Nach fünf Stunden Schlaf wird sie bei einem ausgiebigen Frühstück weitergeführt. Allgemein lässt sich feststellen: Die Gastfreundschaft der Menschen, denen wir auf dieser Reise begegnen, ist absolut überwältigend. Will man die Gastgeber als kleines Zeichen der Dankbarkeit ebenfalls einladen, erntet man Empörung.
Und auch die Stadt Ljubljana macht es einem leicht, sich das Gast wohlzufühlen. Eine Stadt wie ein Wohnzimmer, so geschmackvoll und gemütlich. Auf den großen Plätzen überwiegt der dekorreiche k. u. k.-Stil, abseits finden sich verschlungene Gassen voller Cafés, in denen man Gibanica essen kann, eine sensationelle Erfindung aus Blätterteig, Quark, Walnuss und Mohn. Das Parlament, die Botschaften, die Museen – all das wirkt für eine Hauptstadt sehr bescheiden. Und die Slowenen betonen gern, dass sie hart arbeiten für den kleinen Wohlstandsvorsprung, den sie gegenüber ihren östlichen Nachbarn haben. Und der sie unbeliebt macht. Für die Kroaten sind die Slowenen offensichtlich der Streber, der dem Lehrer Europa die Tür aufhält. Not very Balkan.
In ihrem Buch „Imagining the Balkans“ bringt die bulgarische Intellektuelle Maria Todorova das Balkansche Charakteristikum auf folgende Formel: „Europe, but not Europe“ – also ein Spannungsfeld zwischen Zugehörigkeit und Andersartigkeit. Balkan, das ist das chaotische, unzivilisierte, uneuropäische Element. Ursprünglich ließ sich so die westeuropäische Perspektive auf die Länder im Südosten des Kontinents, von denen man sich abgrenzen wollte, zusammenfassen. Aber die Ideen, die im Westen – ob zu Recht oder zu Unrecht, sei daher gestellt- über den Balkan verbreitet wurden, schwappten auf die bezeichneten Länder über. Sie wurden zu Teil ihres Selbstbildes. In Slowenien versucht man, das Image des Taugenichts loszuwerden. In Kroatien begegnet man der Bezeichnung „Balkan“ durchaus zärtlich. Schließlich besteht auch hier das Bedürfnis, sich abzugrenzen zu den hochentwickelten Ländern, in denen Zucht und Ordnung und Langeweile herrscht. Das Spontane, Unkontrollierte, Gelassene ist wertgeschätzter Teil der Balkan-Identität.
Zagreb
Dazu gehört in Kroatien auf jeden Fall auch die Kaffeekultur. Sommers wie Winters gruppieren sich auf allen Plätzen Zagrebs die Menschen um ihre Tassen. „Croatian culture is all about coffee“ resümiert Marko, während wir uns ebenfalls eine Tasse des sehr starken und sehr guten Koffeingetränkes und Kaffeeklatsch über die Nachbar(staaten) austauschen. Die Vorliebe fürs beobachten uns vergleichen mit anderen ist eine Gemeinsamkeit der Balkanstaaten. Sei es wegen der bewegten und nicht immer friedlichen Geschichte dieser Weltgegend, sei es, weil die vergleichsweise kleinen Staaten immer unter Druck stehen, ihre Einzigartigkeit zu beweisen. Marko studiert Politikwissenschaften, er hat ein Jahr in Chemnitz verbracht. Er schildert uns die Vorurteile und Zänkereien der Staaten mit Balkanpotential sehr subjektiv und zugleich reflektiert. Die Slowenen werden wegen ihrer allzu ambitionierten Pose geringschätzig betrachtet – wobei die aktuelle Wirtschaftskrise die wirtschaftlichen Unterschiede langsam, aber sicher einebnet. Serbien wird bisher noch mit dem nicht lange vergangenen Krieg in Verbindung gebracht – Misstrauen prägt das Verhältnis auf beiden Seiten. Gegenüber Bosnien, Montenegro, Kosovo überwiegt hingegen das Mitleid – „Das sind Entwicklungsländer im Vergleich zu uns“, meint Marko.
An Selbstbewusstsein mangelt es Kroatien jedenfalls nicht. Allgemein fühlt sich in der kroatischen Metropole um einiges urbaner an als die putzige slowenische Hauptstadt. Zagreb ist eine Großstadt, und das weiß sie. Hektisch, bunt, schmutzig – und atemberaubend schön, wenn man an einem dunstig-blauen Oktobertag von der Oberstadt auf das Zentrum hinabblickt. Zwar hat sich der Sozialismus bis unter die Bauten im schmucken Wiener Stil vorgefressen. Aber irgendwie steht dieser Stilbruch der Stadt, er bescheinigt ihr „street credibility“.
Marko wohnt in einem Wohnheim und kann uns nicht beherbergen. Deshalb lernen wir später am Tag noch unsere Gastgeber für den heutigen Abend kennen, Juraj und Rose kennen. Die beiden stehen ziemlich früh auf, um ihrem großem Hobby, dem Reisen, nachgehen zu können. Die Balkan-Mentalität sehen sie deshalb eher kritisch. „Alle beklagen sich darüber, dass sie keine Arbeit und kein Geld haben, aber: Die Kaffees auf dem Hauptplatz, wo die Preise am höchsten sind, sind immer voll“, sagt Juraj. Auch in Kroatien ist das Leben nicht leicht. Das Bier und das Essen kostet in Zagreb, genauso wie in Slowenien oder Ungarn, so viel wie in Deutschland. Und dass, obwohl die Gehälter in all diesen Ländern sehr viel geringer sind. Mit glänzenden Augen erzählt Rose von einem Besuch im Karlsruher Kaufhof, dass das Pärchen wegen der geringen Preise zu Hamsterkäufen motiviert hatte.
Es finden sich aber immer Wege zum Sparen. – Am Dienstagabend möchte ich ein Kammerkonzert in der Zagreber Konzerthalle sehen. Juraj hat dort mal gearbeitet und zeigt mir netterweise den Weg. Er lotst mich durch das Gebäude, kennt alle, plauscht mit den Garderobedamen, dem Ticketkontrolleur und dem Chef, stellt mich als „Kollegin“ vor, und ehe ich mich versehe, sitze ich auf dem wohl besten Platz auf dem nicht öffentlichen Balkon. Bezahlt habe ich nichts. Manchmal macht die Anarchie à la Balkan richtig Spaß.
Das wird mir klar, als wir mit dem kroatischen Studenten Marko über einen Flohmarkt streifen und ich ihn frage, ob denn hier verhandelt werden darf. „Hier nicht“, antwortet dieser. Aber es gebe einen zweiten Flohmarkt am Stadtrand, auf den ich nur selten Touristen verirren „Da geht es drunter und drüber, ein Riesenchaos“, erklärt Marko. „It`s very Balkan“.
Länder gehören also nicht dem Balkan an, sie sind mehr oder weniger Balkan. Welche Länder? All jene, die das Wort „Balkan“ in ihrer Selbstbeschreibung miteinbeziehen – sei es, um sich zu beschreiben oder sich davon abzugrenzen. Serbien und Albanien sind zum Beispiel unbestritten sehr Balkan. Ungarn, Slowenien, Rumänien und Kroatien hingegen zählen zu den Ländern, deren Balkan-Status fragwürdig ist. Deshalb werde ich als pflichtgetreue Kulturwissenschaftlerin diese Länder bereisen und nach bestem Gewissen Auskunft darüber geben, was es bedeutet, Balkan zu sein, und wer die Kriterien erfüllt und wer nicht.
Ljubljana
Unser Zug fährt mit über einer halben Stunde Verspätung in Ljubljana ein. Mit anderen Worten, ungefähr um Mitternacht. Very Balkan. Unser Couchsurfing-Gastgeber Miha wartet schon am Bahnsteig auf uns. Unser Angebot, uns wegen unserer späten Ankunft doch lieber ein Hostel zu suchen, hat er empört zurückgewiesen: „Are you kidding?“ Obwohl alle müde sind, wird an Mihas Küchentisch erst mal geplaudert – über seine Job als Programmierer, übers Reisen und über Sprachen. Irgendwann zückt Miha eine Flasche Rumlikör aus Litauen – der Beginn einer sehr promillereichen Reise durch halb Europa (Miha ist viel herumgekommen und kam selten mit leeren Händen heim), wobei die Konversation immer ausgelassener wird. Nach fünf Stunden Schlaf wird sie bei einem ausgiebigen Frühstück weitergeführt. Allgemein lässt sich feststellen: Die Gastfreundschaft der Menschen, denen wir auf dieser Reise begegnen, ist absolut überwältigend. Will man die Gastgeber als kleines Zeichen der Dankbarkeit ebenfalls einladen, erntet man Empörung.
Und auch die Stadt Ljubljana macht es einem leicht, sich das Gast wohlzufühlen. Eine Stadt wie ein Wohnzimmer, so geschmackvoll und gemütlich. Auf den großen Plätzen überwiegt der dekorreiche k. u. k.-Stil, abseits finden sich verschlungene Gassen voller Cafés, in denen man Gibanica essen kann, eine sensationelle Erfindung aus Blätterteig, Quark, Walnuss und Mohn. Das Parlament, die Botschaften, die Museen – all das wirkt für eine Hauptstadt sehr bescheiden. Und die Slowenen betonen gern, dass sie hart arbeiten für den kleinen Wohlstandsvorsprung, den sie gegenüber ihren östlichen Nachbarn haben. Und der sie unbeliebt macht. Für die Kroaten sind die Slowenen offensichtlich der Streber, der dem Lehrer Europa die Tür aufhält. Not very Balkan.
In ihrem Buch „Imagining the Balkans“ bringt die bulgarische Intellektuelle Maria Todorova das Balkansche Charakteristikum auf folgende Formel: „Europe, but not Europe“ – also ein Spannungsfeld zwischen Zugehörigkeit und Andersartigkeit. Balkan, das ist das chaotische, unzivilisierte, uneuropäische Element. Ursprünglich ließ sich so die westeuropäische Perspektive auf die Länder im Südosten des Kontinents, von denen man sich abgrenzen wollte, zusammenfassen. Aber die Ideen, die im Westen – ob zu Recht oder zu Unrecht, sei daher gestellt- über den Balkan verbreitet wurden, schwappten auf die bezeichneten Länder über. Sie wurden zu Teil ihres Selbstbildes. In Slowenien versucht man, das Image des Taugenichts loszuwerden. In Kroatien begegnet man der Bezeichnung „Balkan“ durchaus zärtlich. Schließlich besteht auch hier das Bedürfnis, sich abzugrenzen zu den hochentwickelten Ländern, in denen Zucht und Ordnung und Langeweile herrscht. Das Spontane, Unkontrollierte, Gelassene ist wertgeschätzter Teil der Balkan-Identität.
Zagreb
Dazu gehört in Kroatien auf jeden Fall auch die Kaffeekultur. Sommers wie Winters gruppieren sich auf allen Plätzen Zagrebs die Menschen um ihre Tassen. „Croatian culture is all about coffee“ resümiert Marko, während wir uns ebenfalls eine Tasse des sehr starken und sehr guten Koffeingetränkes und Kaffeeklatsch über die Nachbar(staaten) austauschen. Die Vorliebe fürs beobachten uns vergleichen mit anderen ist eine Gemeinsamkeit der Balkanstaaten. Sei es wegen der bewegten und nicht immer friedlichen Geschichte dieser Weltgegend, sei es, weil die vergleichsweise kleinen Staaten immer unter Druck stehen, ihre Einzigartigkeit zu beweisen. Marko studiert Politikwissenschaften, er hat ein Jahr in Chemnitz verbracht. Er schildert uns die Vorurteile und Zänkereien der Staaten mit Balkanpotential sehr subjektiv und zugleich reflektiert. Die Slowenen werden wegen ihrer allzu ambitionierten Pose geringschätzig betrachtet – wobei die aktuelle Wirtschaftskrise die wirtschaftlichen Unterschiede langsam, aber sicher einebnet. Serbien wird bisher noch mit dem nicht lange vergangenen Krieg in Verbindung gebracht – Misstrauen prägt das Verhältnis auf beiden Seiten. Gegenüber Bosnien, Montenegro, Kosovo überwiegt hingegen das Mitleid – „Das sind Entwicklungsländer im Vergleich zu uns“, meint Marko.
An Selbstbewusstsein mangelt es Kroatien jedenfalls nicht. Allgemein fühlt sich in der kroatischen Metropole um einiges urbaner an als die putzige slowenische Hauptstadt. Zagreb ist eine Großstadt, und das weiß sie. Hektisch, bunt, schmutzig – und atemberaubend schön, wenn man an einem dunstig-blauen Oktobertag von der Oberstadt auf das Zentrum hinabblickt. Zwar hat sich der Sozialismus bis unter die Bauten im schmucken Wiener Stil vorgefressen. Aber irgendwie steht dieser Stilbruch der Stadt, er bescheinigt ihr „street credibility“.
Marko wohnt in einem Wohnheim und kann uns nicht beherbergen. Deshalb lernen wir später am Tag noch unsere Gastgeber für den heutigen Abend kennen, Juraj und Rose kennen. Die beiden stehen ziemlich früh auf, um ihrem großem Hobby, dem Reisen, nachgehen zu können. Die Balkan-Mentalität sehen sie deshalb eher kritisch. „Alle beklagen sich darüber, dass sie keine Arbeit und kein Geld haben, aber: Die Kaffees auf dem Hauptplatz, wo die Preise am höchsten sind, sind immer voll“, sagt Juraj. Auch in Kroatien ist das Leben nicht leicht. Das Bier und das Essen kostet in Zagreb, genauso wie in Slowenien oder Ungarn, so viel wie in Deutschland. Und dass, obwohl die Gehälter in all diesen Ländern sehr viel geringer sind. Mit glänzenden Augen erzählt Rose von einem Besuch im Karlsruher Kaufhof, dass das Pärchen wegen der geringen Preise zu Hamsterkäufen motiviert hatte.
Es finden sich aber immer Wege zum Sparen. – Am Dienstagabend möchte ich ein Kammerkonzert in der Zagreber Konzerthalle sehen. Juraj hat dort mal gearbeitet und zeigt mir netterweise den Weg. Er lotst mich durch das Gebäude, kennt alle, plauscht mit den Garderobedamen, dem Ticketkontrolleur und dem Chef, stellt mich als „Kollegin“ vor, und ehe ich mich versehe, sitze ich auf dem wohl besten Platz auf dem nicht öffentlichen Balkon. Bezahlt habe ich nichts. Manchmal macht die Anarchie à la Balkan richtig Spaß.
Eva W. - 17. Okt, 22:24