Montag, 21. Oktober 2013

The new order

„Eins muss man euch Deutschen ja lassen“ sagt Krzysztof und nimmt einen Schluck Bier. „Ihr seid die Besten, wenn es darum geht, Lager zu organisieren“.

„Danke“, sage ich im gespielt-geschmeichelten Ton, „aber ohne polnischen Hilfe würden wir das nicht schaffen“.

Diskussionen wie diese, bei denen Außenstehenden vor Schreck die Ohrmuscheln abfallen würden, sind an der Tagesordnung, wenn wir mit Krzyszek und Tomasz unterwegs sind. Die beiden jungen Polen studieren Wirtschaft in Wroclaw und sind wie ich für ein Semester an der Universität Pécs.

Man könnte diese Art der Kommunikation unangemessen finden. Ich musste auch schlucken bei den ersten Sprüchen unserer beiden polnischen Freunde, die verständlicherweise meistens auf Kosten der Deutschen gehen. Da sprechen sie von einer „German invasion“, wenn mehr als zwei Deutsche im Raum sind, oder werfen meiner deutschen Freundin augenzwinkernd vor, die Herrschaft über die Erasmusgruppe an sich zu reißen, wenn sie ein Programm für den Abend entwirft. „Typisch deutsch!“

Aber woher rührt meine Befangenheit? Persönlich angegriffen fühle ich mich von den historischen Referenzen nicht. Zu groß ist die Distanz zwischen dem dritten Reich und meiner Lebensspanne, zu gering ist meine Identifikation mit dem Land, in dem ich nun mal zufällig geboren bin. Und mal ehrlich: Die deutsch-polnische Vergangenheit und gerade der Nationalsozialismus bieten ein schier unendliches Repertoire für Witze und Sticheleien. Mit der Zeit habe ich einfach Spaß an dem Spiel gefunden und genieße es, ab und an zurückzuschießen.

„Ach wisst ihr, wir Deutschen mögen Polen einfach zu gerne“, sage ich. „Deshalb kommen wir immer wieder hin.“ „Jaja, ihr habt uns zum Fressen gern“ lacht Krzys. Wir beide wissen, dass er nicht wirklich mich meint und ich nicht wirklich ihn. Aber die historischen Fakten sind uns bekannt, und wir nehmen sie ernst.

Als wir die Kneipe verlassen, hält Tomasz mir die Tür auf. „Für einen Polen bist du ganz schön höflich,“ sage ich. „Das habe ich bestimmt von meinem Großvater. Der hat das gelernt, als er in Deutschland war. Als Kriegsgefangener“. Pause. „Stimmt das?“ Tomasz nickt. „Er hat nie sehr viel davon erzählt, aber ich glaube, es hat ihn sein ganzes Leben lang geprägt“.

Scherz und Ernst liegen bei dieser Art Geplänkel naturgemäß sehr nahe beieinander. Aber es ist nun mal so: Die deutsch-polnische Geschichte ist von blutigen Auseinandersetzungen durchzogen, die bis heute das Gesicht und die Beziehung beider Länder prägen. Gerade die Wunden, die Deutschland Polen zugefügt hat, sind zu schmerzlich, um einfach darüber hinweg zu gehen. Soll man das einfach ignorieren? Ist es nicht besser, das Thema zumindest im Scherz präsent zu halten? Meiner Meinung nach liegt darin eine Chance zur fortgesetzten Auseinandersetzung. Ein waches Geschichtsbewusstsein ist auch die Grundlage dafür, das zu schätzen und zu schützen, was wir jetzt haben.

Schlagartig wird einem bewusst, wie großartig und alles andere als selbstverständlich es ist, dass heute junge Polen und Deutsche zusammen mit Franzosen, Italienern und Russen friedlich plaudernd in einem ungarischen Pub beisammen sitzen können.



***
So ist zunächst meine Einstellung.... Ganz sicher bin ich mir aber nicht. Eure Meinung zu dem Thema würde mich ziemlich interessieren! Kommentare hier oder auf Facebook sehr erwünscht!

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